Das Schweizer Rentensystem – Beitrag der Reichen als Vorbild?

Das Schweizer Rentensystem hat die Besonderheit einer Bürgerversicherung, in der auch Vermögen und Kapitaleinkünfte beitragspflichtig sind. Eine genauere Betrachtung sorgt für Ernüchterung.

Das Rentensystem besteht, wie in Deutschland, aus 3 sogenannten Säulen, die ersten 2 sind obligatorisch, die 3. ist freiwillig. 

 Um die Leistung mit deutschen Maßstäben bewerten zu können sei vorausgeschickt: Das Verhältnis Schweizer Franken (CHF) zum Euro etwa 1:1. Die Kaufkraft liegt allerdings weit auseinander. Für einen Warenkorb, der in Deutschland 100 Euro kostet, müssen in der Schweiz 150 Euro bezahlt werden (siehe Anmerkung 1).

In der ersten Säule befindet sich die Alters- und Hinterlassenen Versicherung (AHV) und Invalidenversicherung (IV). Alle Schweizer sind hier obligatorisch versichert und erhalten daraus eine Art Basisversorgung.

Die aktuellen Rentenbeträge liegen zwischen mindestens 1.225 CHF und höchstens 2.450 CHF. Der mittlere Wert (Medianwert – siehe Anmerkung 2) beträgt 1.809 CHF. Sind die Beträge zu niedrig, um das Existenzminimum zu bestreiten, gibt es vom Staat finanzierte Ergänzungsleistungen.  

Finanziert wird die AHV/IV im Umlageverfahren mit einem Beitrag für abhängig Beschäftigte von 10,6 % (5,3% Arbeitgeber/ 5,3% Arbeitnehmer) und für Selbständige von 10% der Bruttoeinkommen. Nichterwerbstätige zahlen mindestens 43 CHF bis maximal 2.142 CHF im Monat. Mit „Nichterwerbstätige“ sind Menschen gemeint, die nicht arbeiten und stattdessen Vermögen und/oder Kapitaleinkünfte haben (siehe Anmerkung 3). 

In der zweiten Säule befindet sich die Berufliche Vorsorge (BVG). Wer am Ende seines Arbeitslebens 100.000 CHF in seinem Pensionsfond hat, bekommt daraus eine monatliche Rente von 567 CHF. Der mittlere Wert der ausgezahlten Betriebsrenten beträgt 1.702 CHF.

Finanziert wird die BVG durch mit dem Alter anwachsende Beitragsstufen. Der Beitragssatz beginnt mit 7 % ab dem 25. Lebensjahr und endet mit 18 % ab dem 55. Lebensjahr des um rund 2.100 reduzierten Bruttoeinkommens. Die Unternehmen müssen mindestens die Hälfte der Beiträge finanzieren.

In der dritten Säule befindet sich die private Vorsorge. Sie ist völlig freiwillig und wird, ähnlich der Riester-Rente, staatlich gefördert. Sie spielt für abhängig Beschäftigte nur eine sehr geringe Rolle.

Rechnet man die mittleren Renten der ersten und zweiten Säulen zusammen, ergibt sich ein Betrag von 3.510 CHF. Das klingt nach viel, ist aber in Relation zum Lohnniveau und der Kaufkraft des Schweizer Franken, eher bescheiden. Die OECD berechnet für junge Schweizer eine Nettoersatzquote von 50,2 % aus. Also noch weniger als das extrem niedrige Niveau von 52,9 % in Deutschland (Anmerkung 4). 

Die Renten unterliegen in der Schweiz einer normalen Besteuerung, diese richtet sich jedoch nach Wohnsitz in Kantonen und hat verschiedene Freibeträge. Das Renteneintrittsalter beträgt für Männer 65 Jahre, für Frauen 64 Jahre. Eine frühere Verrentung ist mit Abschlägen möglich (- 6,8 % pro Jahr), ebenso eine spätere mit Zuschlägen (+ 10,8 % pro Jahr).

Fazit: Das Schweizer Rentensystem ist in Punkto Rentenniveau keineswegs erstrebenswert. Die Besonderheit, der Beitragspflicht von Vermögen und Kapitaleinkünften, erweist sich mehr als blasses Etikett. Die Erträge haben nur sehr geringe Substanz. Die Reichen werden weniger als ihre Portokasse berappen müssen.


Anmerkung 1: Um internationale Vergleichbarkeit herzustellen wird das Werteverhältnis der Währungen und die Kaufkraft der jeweiligen Einkommen ermittelt. Die Währungen Schweizer Franken und Euro verhalten sich annähernd 1:1 (Kurse schwanken leicht nach oben und unten). Die Kaufkraft wird regelmäßig durch Statistikbehörden berechnet (die Kaufkraftparität KKP; hier ist es Eurostat) und ergibt im Vergleich Schweiz zu Deutschland ein Verhältnis von 1,5 : 1. Der mittlere Betrag aus der 1. und der 2. Säule von 3.510 CHF würde also einem Betrag von 2.340 Euro in Deutschland entsprechen.

Anmerkung 2: Medianwert ist der mittlere Wert einer bestimmten Anzahl. Bei z.B. 1,6 Millionen Rentner*innen in der Schweiz ist es der Rentenbetrag der/des 800.000sten Rentners*in. In Deutschland üblich sind Durchschnittswerte. Dabei würden alle 1,6 Millionen Renteneinkünfte addiert und durch die Zahl der Rentner*innen geteilt.

Anmerkung 3: Die Beiträge aus Vermögen und Kapital werden bei uns gelegentlich als vorbildlich für eine anzustrebende Bürgerversicherung dargestellt. Bei genauerer Betrachtung sind sie eher spärlich. Bei jährlichen Kapitaleinkünften bis 437.000 CHF muss ein Beitrag zur AHV von 5,8% entrichtet werden, darüber hinaus nichts mehr. Auf ein Vermögen bis zu 8,7 Millionen CHF beträgt der Beitragssatz 0,3%, darüber hinaus nichts mehr. Ein Millionär mit 100 Millionen CHF Vermögen zahlt also gerade einmal 0,026% seines Vermögens pro Jahr.

Anmerkung 4: Mit Rentenniveau ist das Verhältnis der Renten zu entsprechenden Lohneinkünften definiert. Das mittlere Einkommen in der Schweiz beträgt 6.665 CHF, das mittlere Renteneinkommen aus den ersten beiden Säulen 3.510 CHF. Das ergibt ein Brutto-Rentenniveau von 3.510 / 6665 = 52,7%. Die Abweichung zum OECD-Wert (50,2 %) ergibt sich unter anderem daraus, dass die OECD mit Durchschnittswerten und Nettobeträgen rechnet. 

(Wolfgang Thiele und Reiner Heyse, 20.08.2023)

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