„Aktivrente“ – die Alten bringen die Rettung – ernsthaft?

– Mit einer Anmerkung zur Wirtschaftspolitik –

Die deutsche Wirtschaft liegt darnieder. Seit fünf (!) Jahren kein Wachstum – von 2019 bis 2024 ein reales BIP-Wachstum von insgesamt 0,3 Prozent.  Die Produktivität wächst in diesem Zeitraum um jämmerliche 0,3 Prozent pro Jahr – im langjährigen Mittel (1991 bis 2020) waren das 1,2 Prozent pro Jahr. Die unfassbar einfache Lösung aus diesem Dilemma hat die neue Bundesregierung jetzt endlich gefunden. Es muss in Deutschland mehr gearbeitet werden! (dazu eine Anmerkung am Ende des Artikels)

Und wer muss mehr arbeiten? „Machen wir es konkret“ kündigt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bei Caren Mioska am 25. Mai an: die Alten sollen gefälligst länger arbeiten! Später in Rente gehen oder als Rentner noch weiterarbeiten.  Damit vertritt er auch den Willen von Kanzler Friedrich Merz und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche.

Zunächst nicht mit Zwang, sondern über Belohnung, mit dem Etikett „Aktivrente“. Wer über die gesetzliche Rentenaltersgrenze hinaus arbeitet, soll bis zu 2.000 Euro seines Monatslohns steuerfrei beziehen. Was soll oder kann das bringen? Auch wenn das erwartungsgemäß kaum Spürbares bringt, wird in jedem Fall die Propaganda für die Renten mit 70 befeuert.

Bereits jetzt wird das Arbeiten im Rentenalter „belohnt“. Für jeden Monat, der trotz Erreichens des Rentenalters weitergearbeitet wird, erhöht sich die Rentenanwartschaft um 0,5 Prozent. In einem Jahr erhöht sich die Rente dann um 6 Prozent, nach zwei Jahren um 12 Prozent. Zusätzlich entfallen die Beiträge für die Renten- und Arbeitslosenversicherung. Damit werden etwa 11 Prozent weniger vom Lohn abgezogen.

Betroffene wollen früher in Rente

Bewirkt haben diese Anreize bisher so gut wie nichts. Im Gegenteil ist der Wille unter den Betroffenen, vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente zu gehen, ungebrochen hoch. Das beweisen nicht nur zahlreiche Umfragen, sondern vor allem reale Zahlen. 

Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) weist nach, dass 36 Prozent der Renten mit Abschlägen versehen werden. Im Durchschnitt sind die betroffenen Rentnerinnen und Rentner 32 Monate früher in Rente gegangen und mussten damit 9,6 Prozent weniger Rente in Kauf nehmen. Die Zahlen der 2023 neu in Rente Gegangenen beweisen, dass der Wille, früher in Rente zu gehen, noch zunimmt. Bereits 38 Prozent erhielten Renten mit ähnlich hohen Abschlägen. Wäre, wie vielfach von neoliberalen Renten“experten“ und Politikern gefordert, die Abschlagsfreiheit nach 45 Beitragsjahren abgeschafft worden, hätte der Anteil der Abschlagsrenten wahrscheinlich schon 50 Prozent überschritten. Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass für 7,6 Millionen mit Regelaltersrenten, das sind 30 Prozent aller Renten, gar keine Möglichkeit bestand früher in Rente zu gehen, weil sie weniger als 35 Versicherungsjahre hatten.

Nur wenige arbeiten nennenswert im Rentenalter

Der Versichertenbericht 2024 der DRV belegt sehr eindringlich: Nur ein kleiner Anteil der gesetzlich Rentenversicherten hat den Willen oder die Fähigkeit, im Rentenalter weiter zu arbeiten (Zahlen aus 2023). Daran haben auch die bisherigen „Belohnungen“ nichts geändert.

Lediglich 26.000 Personen arbeiteten in versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, ohne eine Rente zu beziehen. D.h. sie zahlen weiter in die Rentenversicherung ein, um ihre Anwartschaften zusätzlich zu erhöhen.

1,2 Million arbeiteten neben ihrem Rentenbezug (und zahlten damit keine Rentenversicherungsbeiträge). Von den 1,2 Millionen befanden sich 900.000 in Mini-Jobs, 280.000 befanden sich in mehr als geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Das bedeutet, gerade einmal 1,5 Prozent der Rentnerinnen und Rentner über der Regelaltersgrenze arbeiten noch in Voll- oder Teilzeitjobs. Ein großer Teil von ihnen, weil die Rente einfach nicht zu einem menschenwürdigen Leben ausreicht. Diejenigen mit Minirenten (und wahrscheinlich auch entsprechenden Mini-Löhnen) werden von den Segnungen der 2.000 Euro-Steuerbefreiung nur sehr wenig bis nichts zu spüren bekommen.

So bleibt als Wirkung der „Aktivrente“ nur das übrig, was Fachleute der Arbeitsagenturen und der Rentenversicherung erwarten: Ein Mitnahmeeffekt für diejenigen, die ohnehin schon relativ gut bezahlt im Rentenalter weiter arbeiten.

Fazit

Das Projekt „Aktivrente“ hat offensichtlich weder wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ziele. Es bereitet eher das Feld vor für verordnetes längeres Arbeiten im Alter, die Rente ab 70.


Eine Anmerkung zur Wirtschaftspolitik:

Um aus der Stagnation der deutschen Wirtschaft herauszukommen und die Wettbewerbsfähigkeit (noch weiter) zu stärken will die Bundesregierung erreichen, dass mehr gearbeitet wird. In der oben erwähnten Mioska-Sendung sprang Moritz Schularick, Präsident des „Kiel Instituts für Weltwirtschaft“, dem „konkret“ werdenden Linnemann bei und präsentierte eine unglaubliche Rechnung:

Die Menschen in Polen arbeiten 30 Prozent mehr als die Deutschen. Würden wir alle 30 Prozent mehr arbeiten stiege das Bruttoinlandsprodukt glatt von 4,5 Billionen auf 6 Billionen Euro! 

Der höchstbezahlte Mensch beherrscht die Dreisatzrechnung. Es ist schwer vorstellbar, dass Schularick diesen unterkomplexen Unsinn auch wirklich selber glaubt. Es ist eher Teil von billiger Propaganda, mit der davon abgelenkt werden soll, dass die Ökonomenzunft keine Lösung für die Krise anzubieten hat.

Seit etlichen Jahren befindet sich die Arbeitsproduktivität auf mickrigem Niveau und die Investitionsquoten auf historisch niedrigen Ständen. Trotzdem werden immer noch Leistungsbilanzüberschüsse weit über dem international verabredeten zulässigen Maß erzielt.

Die Arbeitslosigkeit ist hoch und steigt (auf drei Millionen). Die Zahl offener Stellen ist niedrig und sinkt (auf 650.000). Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen erreicht wieder Werte wie vor 10 Jahren. Nach DIHK-Befragung erwogen bereits 2023 vier von zehn Unternehmen wegen hoher Energiekosten, ins Ausland abzuwandern oder ihren Betrieb in Deutschland zu verkleinern.

In dieser Situation, der längsten Wirtschaftskrise seit Gründung der BRD, mehr und längere Arbeit zu fordern, ist das volkswirtschaftlich dümmste Rezept. Damit würde die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen. Die Anreize, mit Investitionen und Innovationen die Produktivität wieder zu erhöhen, würde weiter gedämpft. Und die Frage, wer denn bitteschön die mehr erzeugten Waren und angebotenen Dienstleistungen kaufen sollte, bleibt unbeantwortet. Vor allem wenn als Begleitmusik der konsumorientierte Sozialetat (die „Hängematte“) gekürzt werden soll. 

Welche Märkte könnten das Mehrprodukt der Arbeit dann aufnehmen? Das Ausland wird nicht weiter den Schuldner (mit Leistungsbilanzdefiziten) spielen wollen. Das „Wunder“ der deutschen Exportweltmeisterschaft geht seinem Ende entgegen. Die Trumpschen Zölle machen das sehr deutlich (*).

Bleibt am Ende die Lösung, die von einigen Ökonomen, allen voran von Moritz Schularick, propagiert wird?

Wenn wir in Deutschland wirklich 80 Milliarden Euro pro Jahr für Verteidigung in die Hand nehmen, dann ist das ein konjunktureller Faktor in einer Wirtschaft, die momentan (schwächelt – ergänzt von mir). Wir haben da Wachstumsperspektiven, wenn wir dieses Geld richtig ausgeben.“ (FOCUS, 23.02.25)

Aus den 80 Milliarden sind seit dem NATO-Gipfel im Juni über 200 Milliarden Euro geworden. Ab wann spricht man eigentlich von Kriegswirtschaft? Expansion der Wirtschaft durch totes, besser gesagt todbringendes, Kapital? Das wäre dann die finale Lösung aller unserer Probleme. 

(*) Deutsche Politiker und Ökonomen können an andauernden sehr hohen Leistungsbilanzüberschüssen nichts Verwerfliches finden. Sie rühmen sich sogar dafür. Der unberechenbare Trump erweist sich in dieser Frage als sehr berechnend. Man betrachte die ungebrochen dynamisch zunehmende Verschuldung der USA gegenüber der BRD mit einem aktuellen Stand von nahezu einer Billion Euro. Gegen dieses riesige makroökonomische Ungleichgewicht soll jetzt mit Zöllen gegengesteuert werden. Und Medien, Politiker und Ökonomen in Deutschland geben sich entgeistert.  

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