Blackout bei der Aktienrente – Hallo Journalisten, lebt ihr noch?

… wer nicht mehr lebt, fragt nicht mehr nach und nachrechnen kann er/sie dann natürlich auch nicht mehr. Unisono meldet die Presse (*): die Aktienrente – neuerdings „Generationenkapital“ betitelt – würde die jungen Generationen entlasten. Sie sei notwendig, um die Kostenexplosion durch die Babyboomer Renten zu bewältigen. Zweifel sind nicht angebracht und Nachfragen scheint sinnlos.

Nicht gestellte Frage Nummer 1: Was ist eigentlich das Babyboomer-Problem in konkreten Zahlen?

Die Antwort, die anscheinend keiner wissen will:

Bis zum Jahr 2038 nimmt die Zahl der zu versorgenden Älteren Jahr für Jahr zu. Nach 2038 nimmt ihre Zahl wieder ab! In den kommenden 15 Jahren steigt die Zahl der Menschen über der Regelaltersgrenze von 17,9 Millionen auf 20,9 Millionen. Das sind pro Jahr im Durchschnitt 200.000 Menschen mehr. Zehn Jahre später, im Jahr 2048, ist die Zahl auf 20,4 Millionen gesunken. Das sind im Durchschnitt pro Jahr 50.000 weniger. Über den langen Zeitraum betrachtet, wirken die Änderungen moderat.

Nicht gestellte Frage Nummer 2: Welche konkreten Mehrkosten entstehen durch die Babyboom-Rentenjahrgänge?

Die Antwort, die anscheinend keiner wissen will:

Bis zum Jahr 2038 müssen für die Rentnerinnen und Rentner im Durchschnitt 3,1 Milliarden Euro pro Jahr mehr aufgewendet werden. Im Jahr 2038 sind es dann rund 47 Milliarden Euro mehr im Vergleich zu heute. Nach 2038 sinkt der Aufwand für die Altersversorgung wieder. Im Jahr 2048 betragen die Mehrkosten gegenüber heute dann 40,7 Milliarden Euro.

Nicht gestellte Frage Nummer 3: Welchen Beitrag leistet die Aktienrente zur Entlastung der steigenden Kosten?

Die Antwort, die anscheinend keiner wissen will:

Die Aktienrente soll bis zum Jahr 2038 folgende Entlastung bringen: 0 Euro. Noch einmal: Null Komma null Euro!

Nach 2038 sollen die sprudelnden Aktiengewinne (dem Himmel sei dann Dank) für Entlastung der Rentenversicherung sorgen. Wie hoch soll die Entlastung ausfallen? Nach Herrn Lindners Aussage 10 Milliarden Euro. Das sind gerade einmal 3 Prozent der Rentenausgaben! Zu einem Zeitpunkt, wo das Problem Babyboomer-Renten wieder von der Bildfläche verschwindet.

Die jährlichen Mehrkosten sind durchaus im Rahmen der gesetzlichen umlagefinanzierten Rentenversicherung (DRV) zu bewältigen. Die durchschnittlichen 3 Milliarden Euro pro Jahr machen 1 Prozent der Rentenausgaben aus. Nur als Anhaltspunkt: Eine Steigerung des Rentenversicherungsbeitrags um 1 Prozentpunkt bringt ca. 17 Milliarden Euro Mehreinnahmen für den DRV-Haushalt.

(Stufungen in der Grafik durch Steigerungsschritte zur Rente mit 67 begründet: bis 2025 ein Monat; ab 2025 zwei Monate; ab 2030: null Monate)

Wer nicht fragt, bleibt dumm! (Motto der „Sesamstrasse“)

… und schlimmer noch bei Journalisten, er/sie trägt zur Verdummung der Bevölkerung bei. Würden die oben genannten drei Fragen gestellt, bekäme man neben den Antworten die Erkenntnisse:

Statt der tatsächlich erforderlichen pro Jahr ansteigenden 3,1 Milliarden Euro (***) will der Staat 15 Jahre lang für die Altersversorgung völlig unwirksame 10 Milliarden Euro in spekulationsgetriebene Märkte pumpen.

Den erforderlichen und sofort konsum- bzw. nachfragewirksamen 47 Milliarden Euro würden 2038 bis dahin sinnlos aufgehäufte 150 Milliarden Euro gegenüberstehen. Selbst wenn die Spekulationserträge dann erzielt würden (Lindner-Erwartung: 10 Milliarden Euro), wäre die „Generationenkapital“-Rendite lächerlich gering. Es ist auch gut möglich, dass die Rendite im negativen Bereich landet.

Fazit:

Journalisten, macht endlich euren Job! Die Aktienrente ist ein Betrugsprojekt – das solltet ihr enthüllen. Die umlagefinanzierte Rente ist in der Lage die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte zu bewältigen – darüber solltet ihr endlich recherchieren und aufklären.


(*) Mit „die Presse“ sind hier die mainstream-Medien der schreibenden und sendenden Zunft gemeint. Es gibt nur wenige und damit löbliche Ausnahmen.

(**) Die Zahlen stammen aus der 15. Bevölkerungsvorausberechnung von destatis, Dezember 2022. Aus den 19 berechneten Varianten, wird üblicherweise die Variante 2 als die wahrscheinlichste dargestellt. Bei der Kostenfrage sind die Ausgaben für die Alters- und Hinterbliebenenrenten mit Stand 31.12.21 herangezogen worden – 290 Milliarden Euro. Dieses Ausgabenniveau wird einfachheitshalber für die Zukunft fortgeschrieben. Es wird auch unterstellt, dass der Anteil der Rentnerinnen und Rentner an den Altenjahrgängen konstant bleibt.

(***) Korrektur: Hier stand vorher der Satz „Statt der tatsächlich erforderlichen 3,1 Milliarden Euro pro Jahr will der Staat…“ – damit werden fälschlich sich aufsummierende Beträge mit konstanten Jahresraten verglichen. Die kritische Aussage wird damit im Kern nicht entschärft. Danke an Anke Schenk für den Hinweis.

4 Kommentare

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  2. Die Erzählung von der demografischen Katastrophe wird seit über 30 Jahren aufgebaut. Die verwendeten Prognosen haben sich durchgängig als falsch herausgestellt. In der Grafik dargestellt ist die PROGNOS-Prognose von 1987, die als Mutter der Demografie-Katastrophen-Behauptungen angesehen werden kann. PROGNOS berechnete daraus einen Rentenversicherungsbeitrag von 40% im Jahr 2030 und setzte damit die politischen Entscheidungsträger in Wallung. Im Vergleich dazu die 12. und die 14. Bevölkerungsvorausberechnung von destatis. Die Prognosefehler sind unglaublich hoch. Schon die 10 Jahre zwischen der 12. und der 14. Prognose zeigen für 2020 einen Vorhersagefehler von 4,5 Millionen Einwohnern auf. Die PROGNOS-Vorhersage von 1987 weist für 2020 einen Fehler von 11 Millionen auf. Im Jahr 2030 wird die Abweichung bei 17 Millionen und 2040 auf sage und schreibe 24 Millionen Menschen angestiegen sein. Die PROGNOS-Gutachten waren in den vergangenen 30 Jahren immer die Grundlagen der rentenpolitischen Entscheidungen – das gilt bis heute. Eine Korrektur der Gesetze im Sinne einer Fehlerbereinigung wurde nie in Erwägung gezogen.

  3. Eigentlich eine gute und einleuchtende Zusammenstellung der Daten und Fakten.

    Ich habe aber Probleme mit der Aussage:
    „Statt der tatsächlich erforderlichen 3,1 Milliarden Euro pro Jahr will der Staat 15 Jahre lang für die Altersversorgung völlig unwirksame 10 Milliarden Euro in spekulationsgetriebene Märkte pumpen.“

    Hier werden jährliche Zahlungen mit jährlichen Steigerungen in einen Topf geworfen. Das ist unseriös und sollte korrigiert werden.

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