Rentenkürzungs-Nachholfaktor wieder scharf gemacht

Sage niemand, Politiker könnten nicht schnell und flexibel handeln. Nachricht am 24.11. morgens: Renten steigen 2022 um 5,2% (im Osten 5,9%) – ein Nachholfaktor wird nicht angewendet. Nachricht am 24.11. abends: Renten steigen 2022 um 4,4% (im Osten 5,1%) – der Nachholfaktor wird aktiviert.

Beide Nachrichten kamen aus dem Hause von Sozialminister Heil. Das, was der Rentenversicherungsbericht 2021 noch versprach, wurde wenige Stunden später durch den Ampel-Koalitionsvertrag kassiert. Die um 0,8% für 2022 reduzierte Erhöhung wurde von Hubertus Heil als „immer noch ganz ordentlich“ kommentiert.

„Ordentlich“ ist lediglich der Betrug an Rentnerinnen und Rentnern und die Willfährigkeit, mit der die neue Regierungskoalition den Forderungen der Wirtschaft folgt.

Der Nachholfaktor hat folgenden Hintergrund: Durch eine Sicherungsklausel dürfen Renten nominell nicht gekürzt werden. Kommt durch Anwendung der Rentenberechnungsformel von 2004 ein negativer Prozentsatz heraus, soll die eigentlich erforderliche Rentenkürzung durch geringere Rentensteigerungen in den Folgejahren nachgeholt werden. Dieser Nachholfaktor wurde 2019 bis 2026 ausgesetzt, um die Haltelinie, keine Absenkung des Rentenniveaus unter 48% bis 2025, einzuhalten.

Seit Jahren machen die Unternehmerbände und neoliberale Ökonomen gegen die Sicherungsklausel und gegen die Aussetzung des Nachholfaktors mobil. Allen voran Axel Börch-Supan und Lars Feld. Letzterer, als langjähriger Wirtschaftweiser tätig, behauptete sogar: „Ohne den Nachholfaktor wären die Rentnerinnen und Rentner absolute Krisengewinnler.“ Und sein Expertenkollege Börsch-Supan hatte sich schon im Mai erregt: „Die Rente wird bezahlt und zwar selbst, wenn die Löhne sinken und sinken und sinken. Die Rente kann nicht sinken. Was letztes Jahr passiert ist, dass viele in die Arbeitslosigkeit oder in die Kurzarbeit gekommen sind, das schlägt nicht auf die Rentner durch.“

Und jetzt schlägt es brutal durch. Die Corona-Krise plus neuer Regierung brachte den Rentenkürzern jetzt den Erfolg.

Die Löhne sind nach vorläufiger Rechnung von destatis 2020 um 0,28 Prozent gesunken. Damit die Renten dann angeblich an die Lohnentwicklung angepasst werden können, wird der Renten-Nachholfaktor durch Gesetzesänderung wieder in Kraft gesetzt. Im Ergebnis werden die Rentensteigerungen dann in den nächsten Jahren nicht um 0,28% gekürzt, sondern gleich um 3,24%. Das Minus bei den Renten fällt also über 10mal höher aus als bei den Löhnen. Wunderwerk der Mathematik? Nein, es ist das gesetzlich korrekte Ergebnis der Absenkung des Rentenniveaus, wie es 2004 beschlossen wurde. Jede Abweichung von diesem Kurs lässt die neoliberalen “Experten” medienwirksam aufheulen. Dafür sind die Gehörgänge von Gelb-Rot-Grün weit geöffnet.

Das im Rentenversicherungsbericht 2021 vorausberechnete Verhältnis von Renten zu Löhnen hätte sich ohne Nachholfaktor so dargestellt:

Steigerung der Renten 2021 bis 2025: 11,5% (2,3%/Jahr), Steigerung der Löhne: 15,5% (3,1% Jahr).

Steigerung der Renten 2021 bis 2035: 37,4% (2,5%/Jahr), Steigerung der Löhne: 47,3% (3,2%/Jahr).

Auch ohne die nachgeholten Kürzungen würden demnach die Renten sehr deutlich von den Löhnen abgekoppelt. Im Durchschnitt um 0,7% pro Jahr.

Nun ist selbst diese Rechnung Makulatur und die Renten werden den Löhnen, nach Willen der neuen Bundesregierung und ihrer Auftraggeber, noch weiter hinterherlaufen. Die Rentnerinnen und Rentner sind die Krisenopfer, die Krisengewinner waren wieder einmal überaus erfolgreich.

(Reiner Heyse, 04.12.2021)

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3 Kommentare

  1. Pingback: Die Renten folgen den Löhnen nicht ̶̶ sie wurden 2001/2004 abgekoppelt. : RentenZukunft

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