Markus Lanz entdeckt in der Demografie „sozialen Sprengstoff“.

Drei Tage vor dem Fest der Liebe und der Familie lässt Markus Lanz erklären: „Wir sind offiziell in der Altenrepublik angekommen“ (*). Die Demografie sorge für „sozialen Sprengstoff“. Also wenig Harmonie und Besinnlichkeit, dafür um so mehr Hetze mit der als Frage getarnten Behauptung: „Setzt die Demografie die Demokratie schachmatt?“

Zur Vertiefung der Problematik hat Lanz eine illustre Runde eingeladen (1). Stefan Schulz, Soziologe und Buchautor („Die Altenrepublik – wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet“) liefert die Zahlen. Er behauptet gleich zu Beginn: 

In den nächsten 13 Jahren gingen 18 Millionen in Rente, dagegen würde es nur 11 Millionen geben, die Volljährig werden. Es würden also 7 Millionen auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Im Durchschnitt sei das ein Minus von 0,5 Millionen pro Jahr.

Das ist zwar frappierend falsch, bildet aber unwidersprochen den Sound für die folgenden 60 Minuten Debatte. Die Faktenlage spricht eine andere Sprache. Die relevanten Daten werden vom Bundesamt für Statistik (destatis) und von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) aufwendig ermittelt und publiziert.

In der 15. Bevölkerungsvorausberechnung (2) vom Dezember 2022 wird die Zahl der Menschen im Rentenalter (aktuell 66 Jahre, ab dem Jahr 2030 67 Jahre) bis 2038 von 17,8 auf 20,9 Millionen, also um drei Millionen, ansteigen. Danach sinkt ihre Zahl wieder, und zwar bereits im Jahr 2048 auf 20,4 Millionen. 

Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (20 bis 67 Jahre) sinkt bis 2038 um 2,8 Millionen von 50,7 auf 47.9 Millionen. Im Jahr 2048 sind es dann 48,0 Millionen. Es „fehlen“ also keinesfalls 7 Millionen, sondern lediglich 2,8 Millionen.

Die als fehlend propagierten 7 Millionen können nur behauptet werden, indem die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung einfach weggelassen wird. Zuwanderung wird in der Lanz-Runde zwar als Problem ventiliert, aber dass sie real und zahlenmäßig etwas mit Demografie zu tun hat, wird noch nicht einmal erwähnt.

Noch deutlicher wird das falsche 7-Millionen-Argument durch die Erwerbstätigenprognose von destatis aus dem Jahr 2020 widerlegt (3). In der mittleren Prognose sinkt die Zahl der Erwerbspersonen im Alter von 20 bis 66 von 41,7 Millionen im Jahr 2019 auf 38,6 Millionen im Jahr 2040. Das sind 3,1 Millionen weniger über einen Zeitraum von 20 Jahren. Das wären dann 0,15 Millionen pro Jahr.

Die Zahlen des Soziologen Schulz liegen damit um das 3,3-fache höher als die Zahlen von destatis. Die Daten und Prognosen sind öffentlich und können problemlos aus dem Internet heruntergeladen werden. Auch von Herrn Schulz. Aber dann könnte er schwerlich ein reißerisches Buch mit dem Titel „Altenrepublik…“ schreiben und Herr Lanz könnte seine Sendung nicht mit „sozialem Sprengstoff“ einleiten.

Richtig widerlich wurde die Debatte, als es um die Demokratiegefährdung durch die Alten ging. In der „offiziell“ schon existierenden Altenrepublik „setzt die Demografie die Demokratie schachmatt“. Da ist sich die Runde einig: die Interessen der Jungen kommen vor die Hunde. Und auch hier wurde das plumpe Bashing durch Zahlen des Soziologe Schulz untermauert: „In Mecklenburg-Vorpommern gibt es mittlerweile mehr Wähler mit Pflegestufe als Wähler unter 30“. 

Herr Schulz vergleicht 12 Jahrgänge (Wähler unter 30) mit 25 Jahrgängen (Wähler über 65) und unterstellt dabei, Menschen mit Pflegestufen sind natürlich Alte über 65 Jahre. Sind es aber nicht: rund 25% der Menschen mit Pflegestufen sind unter 65. – Wo und für was bekommt man heutzutage eigentlich sein Soziologen-Diplom?

Bei solider Vorbereitung der Lanz-Redaktion und auch der anderen Teilnehmer der Runde, hätten sie auch leicht auf die Veröffentlichung der Deutschen Rentenversicherung aus dem Mai 2023 stolpern müssen (4):

„Es ist allerdings nicht so, dass mit dem Renteneintritt der Babyboomer ein Belastungsanstieg einhergeht, wie ihn unsere Gesellschaft noch nie erlebt hat. Der bis 2040 zu erwartende Anstieg der demographischen Belastung ist nach der aktuellen Vorausberechnung keineswegs beispiellos. Im Gegenteil: In der Vergangenheit hat die Bundesrepublik Deutschland bereits mehrfach vergleichbare Phasen erlebt – teilweise hat sich die demographische Belastung innerhalb von zwei Jahrzehnten sogar noch stärker erhöht als das für die Zeit von 2020 bis 2040 zu erwarten ist. So ist der Altenquotient z. B. in der Zeit zwischen 1990 und 2010 von 22,9 (Schreibfehler, muss lauten 23,9) auf 33,8 gestiegen – also um 9,9 oder mehr als 40 %! Und auch in den 20-Jahres-Zeiträumen zwischen 1995 und 2015 oder 1960 und 1980 war der Anstieg ähnlich hoch oder sogar höher als das, was nach der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung für die Zeit von 2020 bis 2040 zu erwarten ist. (Reinhold Thiede, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei der DRV)

Aber solche fundamentalen Erkenntnisse bringen nichts Explosives und Alarmierendes. Der quotengetriebene und interessengeleitete Journalismus braucht nicht die Beruhigung. Er braucht Krawall und Sensationelles. In anderen Arbeitsverhältnissen würden derartige Fehlleistungen mindestens zu Abmahnungen führen – bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten mittlerweile vermutlich zu Honorarerhöhungen. Programmbeschwerden? Zwecklos!

Mit Information, Aufklärung, Debattenförderung auf Grund solider Fakten oder gar Stärkung der Meinungsbildung zur Belebung von Demokratie hat das nichts mehr zu tun. 

Ein Wort noch zur „Schachmattsetzung der Demokratie“ durch die ältere Generation: Diejenigen, die solche Behauptungen in die Welt setzen unterstellen ja, dass Menschen, die sich 40 oder 50 Jahre lang selbstlos für die Belange ihrer Kinder und Eltern eingesetzt haben, bei dem Übergang zur Rente zu rücksichtslosen Egomanen werden. Die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder gehen sie plötzlich nichts mehr an? Das ist einfach nur absurd! 

Vielleicht schauen die Propagandisten einer derartigen Altenrepublik auch nur in den Spiegel und schließen von sich auf andere.

(Reiner Heyse, 29.12.2023)


 (*) Uns erreichten einige empörte Hinweise auf die Lanz-Sendung vom 21.12.. Wolfgang R. schrieb:

„Diese schwer zu ertragende Sendung lief letztlich durch den Äther:

https://www.youtube.com/watch?v=SClBmIi8nzE

Ich frage mich immer, wer alles dumme Bücher schreiben darf und die auch noch verlegen kann:https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1063524655

Da sagt der Herr Schulz, dass die Rentenkasse früher keine Zuschüsse brauchte, weil das aus der Produktivitätssteigerung geleistet wurde. Die Politik hat vor 30 Jahren entschieden, dass die Löhne nicht mehr mit der Produktivität steigen (das waren die Tarifpartner!)?

Das ist purer Blödsinn, wie ihr es in einem Artikel bzw, in einer Quelle im Seniorenaufstand ausführlich dargestellt habt. Solche Soziologen schreiben Bücher, in denen eine Spaltung Jung gegen Alt betrieben wird und darüber hinaus unqualifizierte Aussagen stehen.“


Anmerkungen:

(1) Der Artikel zeichnet nicht die gesamte Debatte nach, sondern konzentriert sich auf die zentrale Argumentation zur angeblichen Gefährdung von Wirtschaftswachstum und Demokratie. Die Teilnehmer der Runde waren neben Markus Lanz und Stefan Schulz:

  • Vanessa Vu – Journalistin; ging auf die Belastungen durch hohe Migrantenzahlen ein.
  • Rainer Hank – Wirtschaftsjournalist; fand es sei ein großer Fehler, die 10 Milliarden-Schuldenaufnahme für die Aktienrente nicht schon in diesem Jahr gestartet zu haben.
  • Johannes Winkel – Vorsitzender der Jungen Union; versuchte mehrfach zu platzieren, dass Familien in Deutschland stärker gefördert werden sollten.

(2) Die 15. Bevölkerungsvorausberechnung von destatis aus dem Dezember 2022. Aus den drei Parametern: Geburtenrate je Frau, Wanderungssaldo und Lebenserwartung werden 21 Modellvarianten durchgerechnet. Die mittlere Variante 2 wird standardmäßig als die Wahrscheinlichste publiziert. Die erwartete Bevölkerungszahl wurde in den vergangenen Jahrzehnten ständig nach oben korrigiert.

(3) Erwerbspersonenvorausberechnung 2020 von destatis aus dem November 2020. Mit Berücksichtigung der 15. Bevölkerungsvorausberechnung wird die Zahl der Erwerbspersonen um einige Hunderttausend höher sein.

(4) RV aktuell 02/2023 Seiten 4 bis 12

5 Kommentare

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  2. Warum macht nicht jemand eine Talkshow, lädt den Markus Lanz ein und führt ihn mal so richtig vor, so dass die in der Sendung getroffen Aussagen auch für die breite Öffentlichkeit wieder gerade gerückt wird

  3. … ging an themendesk@zdf.de

    Sehr geehrte Damen & Herren!

    Da gibt der gute Herr Lanz zu, dass er über das Rentensystem nicht gut informiert ist.
    Auch der kleine „Hosenmatz“ der CDU hat wenig Ahnung von der Rente und macht das in seinen Antworten deutlich.

    Die Zahlungen in die Rentenkasse aus dem Bundeshaushalt (100 Mrd) sind nur ein Ausgleich für gesetzlich festgelegte Ausgaben, die anundfürsich vom Steuerzahler zu zahlen wären.

    Der Gesetzgeber vergreift sich seit eh und je (1957) an der Rentenkasse und muß die Entnahmen, die alle zu zahlen hätten, zurückgeben.

    Es zeigt mir auch, dass Sie meine bisherigen Hinweise zur Rente nicht zur Kenntnis nehmen geschweige denn, weiterleiten. Schade drum. Da könnten Sie etwas lernen und MaLa ebenfalls.

    http://www.meine-rente.jimdofree.com
    http://www.sozial-info.jimdofree.com

    Diese Internetinformationen zur Rente stehen jedem kostenlos zur Verfügung. Einfach mal nutzen und nicht nur dummes Zeug labern.

    Mfg

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