Gegen demokratiefeindliche Extremisten – von der Schweiz lernen!

Gegen demokratiefeindliche Extremisten – von der Schweiz lernen!

„Für die Investoren ist entscheidend, dass es der Regierung gelungen ist, ein Projekt gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchzusetzen.“

Diese demokratiefeindliche Äußerung wurde nicht als Verdachtsfall vom Verfassungsschutz eingestuft. Der veröffentlichende „Tagesspiegel“ wurde auch nicht für investigativen Journalismus gelobt. Die Meldung wurde nahezu ignoriert.

Die Worte stammen von Michael Hüther aus dem Februar 2007 und bezogen sich auf die Einführung der Rente mit 67. Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW – Arbeitgeberinstitut). Er bekam 2009, also zwei Jahre später, vom Bundespräsidenten das „Bundesverdienstkreuz am Bande“ umgehängt.

Was wollte und was will die Mehrheit der Bevölkerung bezüglich Heraufsetzung des Renteneintrittsalters? Hier eine kleine Auswahl aus Meinungsumfragen:

Februar 2006: „Die schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 67 bis spätestens 2029 finden 78 Prozent nicht richtig“ (ZDF Politbarometer)

Dezember 2006: „80 Prozent der Befragten zwischen 30 und 39 Jahren möchten nicht so lange arbeiten gehen“ (EMNID-Umfrage)

August 2010: „Die Deutschen halten die Rente mit 67 für unnötig. Eine längere Lebensarbeitszeit sei zur Sicherung des Rentensystems nicht notwendig, glauben 70 Prozent der Befragten.“ (EMNID-Umfrage)

August 2018: „Renteneintrittsalter erhöhen“ (dafür: 13 Prozent; dagegen: 84 Prozent)“ ZDF Politbarometer)

Oktober 2022: Drei Viertel (74 Prozent) der Menschen halten es für unrealistisch, über das 67. Lebensjahr hinaus zu arbeiten.“ (Umfrage vom Kantar-Institut)

Februar 2023: „das gesetzliche Renteneintrittsalter über 67 Jahre hinaus anzuheben, falls die Lebenserwartung zukünftig weiter steigt: 81 Prozent der Befragten lehnen dies ab.“ (Umfrage vom Kantar-Institut)

„Rentenexperten“ und Politiker: demokratiefeindlich durch und durch

Die Äußerung des mit höchsten Ehren ausgezeichneten Hüther mag in der Deutlichkeit ein Ausrutscher in Sachen Ehrlichkeit gewesen sein. Sie ist aber symptomatisch für viele andere.

Die große Riege der neoliberalen Ökonomen schert sich nämlich einen feuchten Kehricht darum, was die überwältigende Mehrheit in diesem Land will. Politiker, die in Berufung auf diese Experten entsprechende Gesetze beschließen, sind dabei nur willige Vollstrecker.

Weitere Beispiele in Sachen Willensbildung:

Mai 2014: „Die große Mehrheit der Deutschen von 73 Prozent befürwortet das Vorhaben, künftig nach 45 Beitragsjahren im Alter von 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen zu können“ (infratest -dimap)

Forderung von Rainer Dulger (Arbeitgeberpräsident), Martin Werding („Rentenexperte“ im Sachverständigenrat), Bernd Raffelhüschen (omnipräsenter „Experte“), Michael Hüther (siehe oben), vier von fünf Mitgliedern des Sachverständigenrats und etlichen anderen aus dem Metier: „Rente mit 63“ abschaffen!

Noch so ein Affront gegen den Willen der Mehrheit. Das ist noch dazu absurd – abschlagsfrei können berechtigte Beschäftigte aktuell erst ab 64 Jahren und 4 Monaten gehen. In wenigen Jahren werden es 65 Jahre sein.

August 2018: Auf die Frage, wie die Babyboomer-Renten finanziert werden sollten, gibt es folgende Antworten:

„Mit 82 Prozent stößt die Einbeziehung der Beamten und aller Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung auf die deutlichste Zustimmung, danach folgt mit 72 Prozent Zustimmung eine Anhebung des Zuschusses durch Steuermittel.

Mehrheitlich abgelehnt werden hingegen die Maßnahmen 

„Beiträge erhöhen“ (dafür: 38 Prozent; dagegen: 56 Prozent)

„Renteneintrittsalter erhöhen“ (dafür: 13 Prozent; dagegen: 84 Prozent) und 

„Rentenniveau senken“ (dafür: 8 Prozent; dagegen 86 Prozent).“

(ZDF Politbarometer)

Die einschlägigen „wissenschaftlichen“ Berater empfehlen der Politik in allen Fragen, das genaue Gegenteil zu beschließen. Eine weitere Umfrage, in der auch nach der Meinung zur Aktienrente gefragt wurde:

Oktober 2022: „Für 90 Prozent der Befragten sind vor allem Sicherheit und Planbarkeit bei der Altersvorsorge wichtig. Nur sieben Prozent setzen auf mehr Risiko und spekulieren auf höhere Rendite.

Mehr als drei Viertel (77 Prozent) halten es für sinnvoll, dass auch Freiberufler, Selbstständige und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.

Drei Viertel (74 Prozent) der Menschen halten es für unrealistisch, über das 67. Lebensjahr hinaus zu arbeiten.“ (Umfrage des Kantar-Instituts)

Standpunkt der „Wissenschaftler“: Aktienrente!!! Und was kümmern sie Mehrheiten von 75%!

Februar 2023: „Demnach halten 83 Prozent der Befragten den Abstand zwischen Rente und Einkommen für zu groß.

Fast alle Befragten (99 Prozent) halten es für wichtig, dass durch die Alterssicherung Armut vermieden werden kann. Zwei Drittel (66 Prozent) halten das sogar für äußerst wichtig.

Der Erhalt des persönlichen Lebensstandards im Alter spielt für fast alle Erwerbstätigen eine wichtige bis äußerst wichtige Rolle (96 Prozent).

Wenn sie sich entscheiden müssten, entweder mehr in die Rentenkasse einzuzahlen oder länger zu arbeiten, würden gut zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten höhere Beiträge bevorzugen. (Umfrage des Kantar-Instituts)

„Wissenschaftler“, zum Beispiel der Sachverständigenrat der Bundesregierung: Rentenniveau runter! Rentenalter rauf! „Reiche“ Rentner sollen an arme Rentner abgeben! Die „reichen“ Rentner beziehen eine Bruttorente zwischen 1.700 € und 3.300 € (netto in etwa zwischen 1.450 und 2.600 €). Da würden die höchstversorgten Professoren über bittere Altersarmut klagen.

Laute Propaganda für eine kleine Minderheit.

In den Haupt-Medien kommen die Meinungen und der Wille der großen Bevölkerungsmehrheit nicht oder nur sehr sporadisch vor. Dagegen füllen die Zeitungsseiten und die Sendeminuten die unverschämtesten und absurdesten Forderungen der hochgelobten neoliberalen Rentenexperten. Flankiert werden diese gelegentlich durch empörte Stimmen „der Jungen“. Das sind in der Regel Jungunternehmer und junge Polit-Karrieristen, die hart daran arbeiten, niemals das Elend eines Rentenbeziehers zu erleben.

Diese Berichterstattung bzw. zur Schau gestellten Diskurse in den Medien haben mit Demokratie nichts mehr zu tun. Es ist eher eine Verhöhnung von vielen Millionen Menschen, deren Meinung/Willen ignoriert und deren Interessen mit Füßen getreten werden.

In Deutschland wurde in den letzten Monaten hunderttausendfach für Demokratie und gegen Rechts demonstriert. Allzu häufig standen dabei wirklich besorgte und engagierte Schulter an Schulter mit den Demokratieverächtern, die gegen die Interessen und den Willen der Mehrheit arbeiten und eine Politik vollziehen, die Menschen in die Arme von AfD & Co. treiben.

„Mehr Demokratie wagen!“ fängt damit an, sie zu verlangen.

In der Schweiz werden viele politischen Fragen durch Volksentscheide beschlossen. So auch Anfang März 2024 die beiden Fragen: Soll eine 13. Monatsrente eingeführt und soll das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöht werden. Die Abstimmungsbeteiligung war mit 59 % außergewöhnlich hoch. Die Ergebnisse waren nach gründlicher öffentlicher Erörterung so eindeutig wie verbindlich:

Für die Einführung der 13. Rente stimmten 58 %.

Gegen die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, stimmten 75 %.

Offensichtlich ticken die Schweizer in Sachen Altersversorgung ähnlich wie die Deutschen. In der Schweiz kann sich der Willen der Bevölkerungsmehrheit in so wichtigen Fragen direkt durchsetzen.

Dagegen kann in Deutschland die Meinung der Mehrheit in dieser fundamentalen Frage nur mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel ausgedrückt werden. Alle vier Jahre wieder. Das Kreuz steht für alle möglichen Fragen und ist sehr unkonkret. Die gewählten Vertreter folgen in aller Regel der Parteiräson – den Willen der Bevölkerung konkret abfragen? Gott bewahre!

Dabei kommt ja nur unbezahlbares Wunschdenken heraus. Lieber lobbyierende und hochbezahlte Experten befragen, die wissen was gut für das Volk ist. Und damit keine falschen Gedanken entstehen, werden im medialen Mainstream die Interessen der großen Mehrheiten weggetalkt.

Soll das endlich durchbrochen werden, müssen so fundamentale Fragen wie die alle angehende Altersversorgung durch breite Meinungs- und Willensbildung entschieden werden. Die Schweiz macht es vor.

„Mehr Demokratie wagen!“ ist kein Wunschkonzert – sie muss erkämpft werden!

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Ein Kommentar

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